Einleitung zu den Konstitutionen der Benediktinischen Kongregation von Camaldoli

Einleitung

 

Schon lange vor dem Erscheinen Christi brachte die Suche der Menschheit nach dem Absoluten in etlichen religiösen Traditionen monastische Lebensformen hervor. Die Vielzahl der Ausprägungen monastischer und asketischer Existenz bezeugt die göttliche Bestimmung des Menschen und die Gegenwart des heiligen Geistes in den Herzen aller, die danach streben, die Wahrheit und letzte Wirklichkeit zu erkennen.

Bereits in der frühen Kirche folgten Asketen und Jungfrauen dem Ruf des heiligen Geistes zu einem intensiveren christlichen Leben. Im dritten und vierten Jahrhundert begann das Mönchtum mit dem Auszug in die Wüste diejenigen Formen anzunehmen, die seine spätere Entwicklung bestimmen sollten: Leben in Gemeinschaft und in Abgeschiedenheit.

Als Verfasser der Regel für Mönche hat der hl. Benedikt (gest. 547) von jeher als Gesetzgeber und Meister monastischen Lebens in der Kirche des Westens gegolten. Auch der hl. Romuald (gest. 1027) und seine Schüler hatten ihre Profess auf seine Regel abgelegt.        

Die Regel des hl. Benedikt wurzelt in der monastischen Erfahrung der ersten Jahrhunderte und stellt eine Synthese christlicher Spiritualität dar. Sie geht von den Weisungen, Normen und Vorschriften der Heiligen Schrift aus und bindet sie weise in den historischen und kulturellen Kontext der Zeit ein. So vereint die Regel die Reinheit zeitloser Lehren mit charakteristischen Zügen, die aus der Heiligkeit und Klugheit des Autors hervorgehen, und mit spirituellen und rechtlichen Elementen, die in seiner Zeit gründen und darum Aktualisierungen nötig machen.

Der hl. Romuald lebte und wirkte im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert. Er selbst lebte den Geist der Regel vollkommen und legte sie neu aus, indem er die Abgeschiedenheit der Eremitage betonte (vgl. RB Prolog: Ausculta, fili, praecepta magistri). Der hl. Romuald wollte, dass die Eremitage von Einfachheit und einer intensiveren Praxis von Buße und Kontemplation geprägt sei. Manche juristischen und materiellen Strukturen zönobitischen und anachoretischen Lebens, wie es bis dahin praktiziert worden war, korrigierte und veränderte er frei, um den spirituellen Bedürfnissen seiner Zeitgenossen „und der Stimme des Heiligen Geistes, der sein Gewissen leitete“ (VR 53) Rechnung zu tragen.*)

Die Camaldolensische Eremitage ist eine spezielle Frucht der breiten und vielfältigen monastischen Erfahrungen des hl. Romuald als Reformer und Gründer. Die Eremitage bewahrt Elemente gemeinsamen Lebens, bietet jedoch zugleich die Möglichkeit zu größerer Abgeschiedenheit und Freiheit des inneren Lebens bis hin zur Reclusion.

Die Kongregation der Camaldolenser ist nach der Heiligen Eremitage von Camaldoli benannt, die der hl. Romuald gründete. Im Laufe der Zeit entstand durch die Gründung oder Angliederung anderer Eremitagen und Klöster eine größere Körperschaft.

Unsere Kongregation verehrt im hl. Romuald ihren Vater und betrachtet Lehre und Geist unseres heiligen Lehrmeisters als zeitlos gültig. Wie in der Vergangenheit gilt auch heute noch die  Heilige Eremitage von Camaldoli als Haupt und Mutter der Kongregation.

Diese Konstitutionen und Deklarationen wollen die Erfahrungen und die Lehre des hl. Romuald sowie die Früchte, die seine Arbeit im Laufe von nunmehr fast tausend Jahren getragen hat, im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Normen des neuen Codex Iuris Canonici für unsere Zeit interpretieren.**)                                   

 

 

 

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*)Der hl. Romuald „wollte seinen Nachfolgern im eremitischen Leben keine andere Institution hinterlassen als sein heiliges Beispiel und seine zahlreichen Ermahnungen. Bei seinem Tode gab er ihnen keine andere Regel als die Regel des hl. Benedikt (Konstitutionen von 1957, Prolog der Deklarationen). Das Zeugnis des hl. Romuald ist hauptsächlich durch folgende Autoren auf uns gekommen: Der hl. Bruno-Bonifatius von Querfurt (gest. 1009) schrieb 'Das Leben der fünf Brüder', der hl. Peter Damian 'Das Leben des Seligen Romuald und die Consuetudines der Eremitage Fonte Avellana'. Rudolf von Camaldoli entwarf die ersten Consuetudines der Eremitage von Camaldoli (1089).

 

**) Aus diesem Grunde sind die vorliegenden Konstitutionen immer in Einklang mit der Regel des hl. Benedikt und dem gesamten Corpus der Camaldolensischen Tradition zu interpretieren.